Da liegen sie, die Vielgepriesenen. Die Tür an der Hauptstraße 37 ist erst einen Spalt breit offen, die gelben, roten, grünen, braunen Pralinen stechen jedoch sofort ins Auge. Äußerst akkurat aufgereiht liegen sie nebeneinander unter der Glasvitrine. So schön der erste Eindruck, so schnell wechselt der Blick. Er wandert ein wenig höher ins schwarze Holzregal. Zwölf Trüffel-Pyramiden sind dort auf identische Weise drapiert, verteilt auf zwei Ebenen. Alles kleine Kunstwerke. Aber keine Zeit zum Verweilen. Da die in Cellophan verpackten Schokotafeln, dort die Tüten mit Trinkschokolade. Und dazwischen Kevin Kugel, der Besitzer.
Nach der kurzen Tour des Sehorgans durch den Laden steht bereits fest: Geschmack und Akribie sind zwei seiner wesentlichen Eigenschaften. Und beim Gespräch kommen gleich noch weitere hinzu, Freundlichkeit und Leidenschaft. Letztere gilt im Besonderen der Schokolade und im Allgemeinen der Qualität. „Schokoprodukte mit einer Haltbarkeit von über einem Jahr, da kann was nicht stimmen“, sagt er mit allem Nachdruck in der Stimme. Zucker, Alkohol, Konservierungsstoffe - und davon jeweils viel – machen es möglich. Dabei seien acht Wochen bis zu einem halben Jahr eigentlich die maximale Lagerzeit, wenn sie denn wirklich frisch sind, die aus dem Samen des Kakaobaumes erzeugten Produkte. Und Kevin Kugel weiß wovon er spricht. Er ist Deutscher Meister der Chocolatiers - sozusagen die oberste Instanz im Lande in Sachen Schokolade. Frische, unverfälschter Geschmack, dafür wirbt er. Das gilt für die verwendeten Bohnen ebenso wie für die Zutaten. Nichts künstliches, alles Natur. Gewürze von ausgewählten Händlern. Kräuter, selbst angebaut. Zwetschgenschnaps, selbst gebrannt. Das hat seinen Preis. 28 Euro kostet ihn die Pistazien-Dose. Pistazien-Aromen wären schon für fünf Euro zu haben. „Qualität steht über allem.“
Deshalb fertigt er seine Schokoladenkreationen komplett selbst. Mit einer Ausnahme. Den Hohlkörpern für die Trüffel. Zu aufwändig in der Herstellung, kommen die vom wohl besten Anbieter direkt aus der Schweiz. Die Entstehung einer Praline, die lässt sich bei einem Heißgetränk in aller Ruhe beobachten, denn die Produktion findet im Laden statt. Eine Halbetage höher legen Kevin Kugel und seine drei Mitarbeiterinnen Hand an, rühren die Schokomasse, gießen die Formen, mischen die Füllungen. Und dann kommt sie zum Einsatz, die Air-Brush-Maschine. Mit der werden die Pralinen quasi sandgestrahlt. Sie sorgt für das unverwechselbare Äußere. Übrigens Marke Eigenbau. Die gängigen Marktprodukte genügten nicht seinen Anforderungen. „Ich brauchte eine beheizbare Air-Brush-Pistole, die die Temperatur konstant hält“, erinnert er sich. Also entwickelte er zusammen mit einem Freund ein eigenes Modell. Ein echter Tüftler also.
Das bestätigt sich beim Gang in das Lager. Das würde jedem Baumarkt zur Ehre gereichen. Behälter mit Werkzeug, Plastikrohre in allen möglichen Durchmessern. Dabei ist Kevin Kugel kein passionierter Heimwerker, vielmehr sind das die Utensilien für Unikate. Der Fußball-WM-Pokal im Herbst, der 20-Kilo-Schneemann im Winter. Oder der Porsche GT3 für den Männergeburtstag oder für Schrauben und Muttern für das Autohaus, jeweils komplett aus Schokolade und so detailgetrau, dass sich beispielsweise die Schrauben wirklich in die Muttern drehen ließen. Dazu wird zuerst gebastelt, probiert, ein Modell aus Silikon gebaut.
Solche „Maßanfertigungen“ für Unternehmen, Sternegastronomie und Hotellerie stehen ganz oben im Businessplan von Kevin Kugel – eigentlich. Weiter unten findet da das Ladengeschäft Erwähnung. „Das war nur dazu gedacht zur Herstellung der Produkte und um diese zu präsentieren“, berichtet Kevin Kugel. Aber ein gutes Jahr nach der Eröffnung sieht die Realität anders aus. 80 Prozent des Umsatzes kommt über den Ladenverkauf. „Viel mehr als ich mir jemals vorgestellt habe.“ Zumal der Laden nicht in London, Paris, Zürich oder zumindest Stuttgart steht, sondern in der 5000-Einwohner-Gemeinde Nufringen. Da stammt Kevin Kugel her, dahin kehrte er wieder zurück nach diversen Stationen in der ganzen Republik. „Die Mietkosten waren schlichtweg deutlich günstiger als in einer Großstadt.“
Koch, Konditormeister, Chocolatier, Betriebswirt – ein Lehrbeispiel für die Bedeutung von Aus- und Weiterbildung. Dabei hatte der Jungunternehmer bereits früh ein Ziel vor Augen, die Selbstständigkeit. „In der Familie haben fast alle ihr eigenes Geschäft.“ Wobei die eher dem traditionellen Handwerk angehören. So besitzen seine Eltern einen Fließenlegerbetrieb im Ort.
Aber zurück zu Theorie und Praxis eines Businessplans. Der Erfolg des einen Standbeins ließ die Verfolgung des anderen in den Hintergrund treten. „Eigentlich wollte ich schon längst die Firmen in der Region anschreiben.“ Dazu fehlte bisher schlichtweg die Zeit. Aber mit zusätzlichem Personal geht er bald auch dieses Geschäftsfeld an. Wobei eines weder in der Theorie noch in der Praxis in seinem Businessplan vorkommt, der Aufbau eines Filialnetzes. Die kurze Haltbarkeit steht einer bundesweiten Auslieferung im Weg „Das lässt sich mit meinem Qualitätsanspruch nicht vereinbaren.“ Einzig in der benachbarten Landeshauptstadt könnte er sich ein zweites Ladengeschäft vorstellen. Viel mehr schwebt ihm vor, Kunden wie Kollegen nach Nufringen zu holen. Der Anfang hierfür ist gemacht mit Workshops an den Wochenenden. Auch da überrollte ihn die Entwicklung. Zuerst nur an den Samstagen geplant, sind inzwischen zusätzlich bereits fast alle Sonntage ausgebucht. Mittelfristig denkt er an eine Chocolatierschule für Profis wie Laien. Bis dahin dauert es noch. Zuerst steht einmal Ostern ins Haus. Auch da hat sich Kevin Kugel einiges einfallen lassen. So grüßt beim Betreten des Landes nun allerlei auf einer Leiter sitzendes buntes Federvieh den Besucher.
www.kevinkugel.de